2 Wochen vor der Diagnose
„Mama, ich bin 19 Jahre alt. Da bekommt man doch keine Leukämie“, sagte ich und lachte.
„Du musst nicht immer gleich ans Schlimmste denken.“
„Du musst nicht immer gleich ans Schlimmste denken.“
Dass ich mich wirklich schlecht fühlte verschwieg ich natürlich. Doch wer denkt denn schon an Leukämie? Schmerzen in den Knochen – das hat doch sicherlich jeder mal. Und dass die Augenränder von Tag zu dunkler werden lag sicherlich nur am Spiegel …
War es Naivität? So was passiert mir nicht, dachte ich. So was passiert immer nur anderen. Flugzeuge können abstürzen. Doch nur wenige haben Angst davor selbst in einem solchen zu sitzen.
Als ich am Dienstag, den 9. November aufstand wusste ich noch nicht, dass nun die wohl intensivsten, emotionalsten und schwersten Monate meines Lebens beginnen sollten.
Wie jeden Morgen fuhr ich in die Firma. Nach zwei Stunden hielt ich es nicht mehr aus. Die Schmerzen in den Knochen wurden immer extremer. Mir war schwindelig. Ich lehnte mich minütig gegen die Wand und versuchte den Kopf wieder frei zu kriegen, doch mein Chef bemerkte schnell, dass es mir nicht ging und schickte mich nach Hause .
Mein Hausarzt schrieb mich für drei Tage krank und überwies mich an einen Orthopäden, da er selbst nichts feststellen konnte. Allerdings veranlasste er für den nächsten Morgen einen
Bluttest.
Bluttest.
Freunde organisierten für mich eine Typisierungsaktion zu der fast 4000 Menschen kamen. Letztendlich wurde ein Stammzellenspender für ich in Amerika, Florida gefunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf der Typisierungsaktion ein Spender gefunden würde, betrug 1:20.000, trotzdem hat sie mehr viel Kraft gegeben.
Danke Florian!
Spritzen sind mir unsympathisch. Früher hat man ja wenigstens noch Gummibärchen vom Arztbekommen, wenn man die Tortur über sich hat ergehen lassen. Aber ab einem gewissen Alter hört das anscheinend auf. Ich habe trotzdem nicht geweint … Mir wurde gesagt ich solle wegen der Blutwerte einfach innerhalb der Woche vorbeikommen.
„Pack deine Zahnbürste ein. Wir müssen sofort ins Krankenhaus!“, rief meine Mutter. „Dein Arzt hat angerufen. Mit deinem Blut stimmt was nicht!“
Es war schon spät, längst dunkel geworden. Wieso zum Teufel ruft ein Arzt einen um diese Zeit noch an? Als ob das nicht auch noch bis morgen hätte warten können. Aber was soll’s? Ich konnte mir schlimmeres vorstellen als eine nächtliche Fahrt durch Hamburg. Als ich die
Altonaer Klinik betrat war mir noch nicht klar, dass ich sie erst an Heiligabend wieder verlassen werde und selbst das lediglich für wenige Stunden.
Altonaer Klinik betrat war mir noch nicht klar, dass ich sie erst an Heiligabend wieder verlassen werde und selbst das lediglich für wenige Stunden.
Nachdem meine Mutter einer Pflegerin Bescheid gesagt hatte, wurden wir ins Wartezimmer
geschickt. In der Ecke stand eine recht modern aussehende Kaffeemaschine. Die Wartezeit kam mir vor wie eine Ewigkeit. Aus Langeweile widmete ich mich irgendwann der Kaffeemaschine. Auch heißes Wasser gab es da. Also machte ich mir einen Tee. Der erste vorwurfsvolle Blick meiner Mutter war der Tatsache gewidmet, dass ich mir sechs Löffel Zucker in den Tee rührte. Der zweite der, dass ich vier Becher übereinander benutzte, damit der Tee nicht zu heiß in der Hand wurde.
geschickt. In der Ecke stand eine recht modern aussehende Kaffeemaschine. Die Wartezeit kam mir vor wie eine Ewigkeit. Aus Langeweile widmete ich mich irgendwann der Kaffeemaschine. Auch heißes Wasser gab es da. Also machte ich mir einen Tee. Der erste vorwurfsvolle Blick meiner Mutter war der Tatsache gewidmet, dass ich mir sechs Löffel Zucker in den Tee rührte. Der zweite der, dass ich vier Becher übereinander benutzte, damit der Tee nicht zu heiß in der Hand wurde.
Nach einer Weile kam endlich der Arzt. Er wirkte recht jung, Anfang 30 schätze ich. Er nahm mir Unmengen von Blut ab. Wie schon erwähnt bin ich was Spritzen betrifft ein ziemliches Weichei. Dieses mal war ich aber, soweit ich mich erinnere, ungewohnt schmerzfrei. Vielleicht lag das daran, dass ich mit meinen Gedanken woanders war. Ich habe aber noch keine einzige Sekunde daran verschwendet, ob ich eventuell an Leukämie erkrankt war. Das kam mir einfach zu abwegig vor. Ich habe das Krankenhaus mit meiner Mutter um halb neun betreten. Um zwei Uhr nachts ließ der Arzt ein Bett anfahren. Ich bekam ein Nachthemd und wurde von einem Pfleger in die fünfte Etage gefahren. Die Station 5A war zu diesem Zeitpunkt natürlich leer. Eine sehr nette Pflegerin brachte mich in Zimmer 12. Überraschenderweise erinnere ich mich nicht mal mehr an den Namen des Bettnachbarn. Ich weiß lediglich, dass er ein T-Shirt trug mit der Aufschrift „Aushilfsarzt Dr. Olaf“, worüber ich lachen musste. Er war im Gegensatz zu den anderen Patienten auf der Station noch ziemlich jung. Ich denke er war Anfang 30. Er hatte bereits keine Haare mehr, sah aber auch nicht sonderlich krank aus.
Im Nachhinein frage ich mich, ob der Arzt zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass ich an Krebs erkrankt war. Wenn man bedenkt, dass er mich gleich auf die entsprechende Station geschickt hat, müsste es ja eigentlich so gewesen sein. Gesagt hat man mir und meiner Mutter zumindest noch nichts. Meine Mutter wartete noch bis ich eingeschlafen war und verließ dann das Krankenhaus.
Ich wachte schon früh auf und freute mich darauf, die Ärzte und die Pfleger kennenzulernen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal stationär im Krankenhaus war. Wahrscheinlich bei meiner Geburt. Gegen halb 8 kamen zwei Pflegerinnen ins Zimmer. Es schien zum gewöhnlichen Ablauf zu gehören, dass den Patienten morgens Blut abgenommen wird. Eine der Pflegerinnen widmete sich mir, die andere meinem Bettnachbarn. Meine war die hübschere. Strike!
Ich wachte schon früh auf und freute mich darauf, die Ärzte und die Pfleger kennenzulernen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal stationär im Krankenhaus war. Wahrscheinlich bei meiner Geburt. Gegen halb 8 kamen zwei Pflegerinnen ins Zimmer. Es schien zum gewöhnlichen Ablauf zu gehören, dass den Patienten morgens Blut abgenommen wird. Eine der Pflegerinnen widmete sich mir, die andere meinem Bettnachbarn. Meine war die hübschere. Strike!
Meine Mutter kam gegen 9 Uhr in mein Zimmer. Ich war froh, dass sie da war. Uns wurde gesagt, dass die Visite der Ärzte um 11 Uhr beginnt. Ich war nicht ängstlich, sondern eher gespannt darüber was uns die Ärzte sagen würden.
Meine Erinnerungen an das Gespräch mit den Ärzten sind nur schwach. Ein Satz ist jedoch hängen geblieben.
„Wir haben eine akute Leukämie bei Ihnen festgestellt.“
„Wir haben eine akute Leukämie bei Ihnen festgestellt.“
Meine Reaktion würde ich im Nachhinein als merkwürdig bezeichnen. Denn ich habe nicht reagiert. Ich habe nicht die Hände über den Kopf zusammengeschlagen und ich war auch nicht geschockt wie viele es vielleicht sein würden. Ich wusste gar nicht wie ich darüber denken sollte. Vielleicht lag das ja daran, dass ich mich zuvor noch nicht mit dem Thema beschäftigt habe. Was diese Nachricht eigentlich bedeutet wurde mir erst sehr viel später klar. Meiner Mutter war ihr Entsetzen deutlich anzumerken. Sie bekam eine Beruhigungspille. Sie blieb an diesem Tag noch lange. Da ich die Situation noch gar nicht als so dramatisch aufgefasst hatte, war ich glaube ich eher derjenige, der meine Mutter versuchte zu beruhigen als dass es andersrum der Fall gewesen wäre.
Ich habe viele Erinnerungen an die Ereignisse im Krankenhaus. Es fällt mir allerdings schwer sie zeitlich zuzuordnen. Ob sie nun nach der ersten oder vor der dritten Chemotherapie waren ist mir leider manchmal entfallen.
Der Arzt, der mir die Nachricht überbrachte, dass ein Spender gefunden wurde, und zwei Krankenschwestern, von denen die Blonde meine Lieblingsschwester war
Die Ärzte leiteten so schnell es auch nur ging die erste Chemotherapie in die Wege. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nahezu 100 Prozent Blasten in meinem Blut. So nennt man die „bösen“ Zellen. Das hat eine Knochenmarkfunktion ergeben. Dabei entnimmt einem der Arzt unter Vollnarkose ein wenig Knochenmark aus dem Rücken. Während der Zeit im Krankenhaus gehörten die Knochenmarktfunktionen zu den Highlights. Ich mochte das Gefühl, wenn man das Narkosemittel verabreicht bekommt, denn fast zeitgleich merkt man wie die Augenlider schwer werden und man anfängt müde zu werden. Interessant wurde das ganze durch die Tatsache, dass es sich bei dem Narkosemittel um Propofol gehandelt hat. Michael Jackson starb an einer Überdosierung dieses Mittels.
Ich mochte die Ärzte sehr gerne. Dr. Weilert, Dr. Ayoub und eine junge Ärztin, dessen Namen ich leider vergessen habe, da sie nach einiger Zeit die Klinik verließ, machten auf mich immer den Eindruck als wären sie schon seit ihrer Kindheit miteinander befreundet. Sie lachten viel miteinander und heiterten mich auf den Visiten immer auf. Ich mochte es nicht, wenn sich Ärzte anmerken ließen, dass es sich bei akuter Leukämie um eine schwere Krankheit handelt. Ich war dankbar, wenn sie es mich für kurze Zeit vergessen ließen. Und das lockere Auftreten der Ärzte, ihr herzhaftes Lachen, zauberten selbst mir häufig ein Lächeln ins Gesicht.
Eine Woche nach einer Chemotherapie wurde jeweils eine weitere Knochenmarkfunktion
durchgeführt um zu sehen ob die Chemo erfolgreich war. Die Ärztin teilte uns bei der Visite mit, dass sie gerne mit uns über das Ergebnis der Knochenmarkfunktion die nach der zweiten Chemotherapie gemacht wurde reden möchte. Schon an ihrem Gesichtsdruck war ihr anzusehen, dass es sich dabei um keine gute Nachricht handeln konnte. Als die Ärztin wenig später wieder das Zimmer betrat teilte sie uns mit, dass die Knochenmarkfunktion ergeben hat, dass bereits wenige Tage nach der Chemotherapie wieder über 95 Prozent an Blasten, also bösen Zellen, im Knochenmark nachgewiesen wurden. Normal sei ein Wert von lediglich 5 Prozent. Dies ist schon bei der ersten Chemotherapie der Fall gewesen, aber da die zweite Chemo wesentlich stärker war, hatte ich die Hoffnung gehabt, dass man dieses mal erfolgreicher sein würde. "Wir kommen daher um eine Stammzellentransplantation nicht
mehr herum.", sagte sie dann. Natürlich weiß ich, dass die Ärztin nichts dafür konnte, doch ich
erinnere mich noch ziemlich genau, dass ich versuchte die Ärztin so grimmig wie möglich
anzugucken.
Es war einfach deprimierend. Seit der Diagnose im November hagelte es schlechte Nachrichten. Erst schlug die erste Chemo nicht an, bei der zweiten war es dann genauso und nun brauchte ich auch noch eine Stammzellentransplantation. Was für eine Scheiße!
Ich hatte während und nach der ersten Chemotherapie mit wahnsinnigen Magenschmerzen zu
kämpfen. Der Arzt erklärte mir, dass mein Magen stark angeschwollen sei und so groß ist, dass die Magenschleimhaut stark gespannt ist und der Magen jederzeit platzen könnte. Um dieses zu verhindern und ein Abschwellen des Magens zu bewirken, veranlasste Dr. Seidewitz, der meine Mutter an George Clooney erinnerte, da er entweder recht gut aussah oder etwa schon recht alt war, dass ich am Abend eine Spritze in die Bauchdecke bekommen sollte. Wie bereits erwähnt, ich hasste Spritzen und habe daher etwas ziemlich Dummes getan. Ich sagte der Pflegerin, dass sie mit der Spritze noch eine Stunde warten soll in der Hoffnung, dass sie es
dann vergisst. Und leider tat sie das dann auch. Ich habe Dr. Seidewitz nie so wütend erlebt, als er am nächsten Tag davon erfuhr. Er wollte an diesem Tag die Knochenmarkfunktion durchführen, doch als ich ihm erzählte, dass ich die Spritze gar nicht nicht bekommen hatte, verließ er das Behandlungszimmer und versuchte anscheinend den Schuldigen zu finden, der ja eigentlich ich war. Die nette Ärztin und ein Student bereiteten dann schon mal alles für die Funktion vor. Als das nach Buttermilch aussehende Propofol in meine Venen strömte und mir die Augen zufielen, war der Vorfall vorerst vergessen.
4 Monate nach der Transplantation
Ich hatte während der Zeit im Krankenhaus recht viele Bettnachbarn. Aber am schlimmsten war ein älterer, grauhaariger Mann, der eigentlich so gut wie nie geredet hat. Dieser Herr hat von früh morgens bis spät abends ausschließlich Tiersendungen geguckt. Tiersendungen, die so langweilig waren, das selbst der Sprecher drohte jeden Moment einzuschlafen. Seine eigene monotone Stimme trug einen großen Teil dazu bei. Die Tiersendungsessions wurden lediglich durch einige Raucherpausen unterbrochen für die er an die frische Luft gehe musste. Dies tat er bei gefühlten minus 20 Grad und meterhohen Schneebergen lediglich im Bademantel bekleidet, den er direkt über seiner Boxershorts trug.
Ich war immer traurig, wenn meine Mutter nach ihrem Besuch das Zimmer verließ. Ich wusste zwar, dass sie nicht den ganzen Tag bleiben konnte, da ich ja auch noch Geschwister und ein
kranken Vater hatte um die sie sich ebenfalls kümmern musste, aber man fing im Krankenhaus sehr schnell an sich einsam zu fühlen, wenn man alleine war. Ich habe den Großteil des
Alleinseins damit verbracht im Bett liegend an die Decke zu starren, nachzudenken, mich an
Vergangenes zu erinnern und vor allem Angst zu haben. Als meine Mutter sich dieses mal
verabschiedete und zur Tür hinaus schritt hörte ich noch wie sie auf dem Stationsflur von Dr. Ayoub begrüßt wurde. Fünf Minuten später kamen die beiden ins Zimmer. Meine Mutter strahlte über beide Ohren. Auch Dr. Ayoub lächelte.
"Kevin, wir haben die Gewebemerkmale des Amerikaners mit deinen verglichen und die Laborergebnisse haben ergeben ... Sie passen ziemlich gut."
Vielleicht gibt es einige die den Kopf schütteln, wenn sie hören, dass ich mich darüber gar nicht richtig freuen konnte. Ich hatte wahnsinnig große Angst vor der Transplantation. Und die Nachricht, dass ein Spender für mich gefunden wurde, so schön das auch war, es bedeutete auch, dass die Transplantation nun immer näher rückte. Die Patienten, die ich während meines
Krankenhausaufenthaltes kennen lernte und von dessen Tod ich später erfuhr, sind alle nach der Transplantation verstorben.

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen